Gerd-Rolf Rosenberger, DKP, Nordbremer Bürger gegen den Krieg
Maja Tegeler, DIE LINKE, Bremer Volksbegehren für mehr Krankenhauspersonal
Sebastian Rave, DIE LINKE, SAV
Claudia Bernhard, Bürgerschaftsfraktion DIE LINKE
Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär der Fédération Internationale des Résistants (Internationale Föderation der Widerstandskämpfer)
Gerd Rolf Rosenberger: Verflucht sei der Krieg!
Genossinnen, FreundInnen,
Peter Kuckuk,
Mein Großvater
mütterlicherseits, überlebte das fürchterliche Kriegsgemetzel von
1914- 1918 nicht. Opa Bielawski fiel 1915. Als alter nur
Blumenthaler seit 6 7 Jahren, erlebte ich keinen aus der
Generation der zwischen 1 8 8 5 – 1 8 9 9 Geborenen, die mit
Hurra-Patriotismus in den 1. Weltkrieg zogen. Leo Drabent, den die
Nazis 1944 im Zuchthaus köpften, wollte 1 9 1 7 nicht in den Krieg
ziehen, versuchte sich selbst zu verstümmeln. Man zog ihn trotz dem
und er kam schwer verwundet wieder nach Blumenthal zurück. Als 1 9
Jähriger hörte er seinen Genossen Peter Diete, aktiver Kämpfer für
die Bremer Räterepublik was Karl Liebknecht am 9. November 1918
den Arbeitern und Soldaten, zu sagen hatte:
„Der Tag der Revolution ist
gekommen. Wir haben den Frieden erzwungen. Der Friede ist in diesem
Augenblick geschlossen. Das Völkerschlachten hat endlich ein Ende.“
Die Bilanz des imperialistischen Eroberungskrieges hätte die große Mehrheit der Deutschen, zu einem Schluss führen müssen, der sich in zwei Worten sagen ließ:“ N I E W I E D E R !!“ Doch etablierte sich schon sehr bald gegen die Kriegsgegner, KommunistInnen, SozialistInnen, GewerkschafterInnen, eine reaktionäre, faschistoide, militaristische Strömung, die sich als die stärkere erwies. Kurz nach dem Ende des 1. Weltkrieges gründeten sich Traditionsverbände der Soldaten und Offiziere, pflegten die Erinnerung an den grausamen 1. Weltkrieg. BIS ZUM HEUTIGEN TAGE 1 0 0 JAHRE SPÄTER wird weiterhin in öffentlichen Räumen an die Kriegstoten erinnert. Kaum eine Stadt ohne ein Kriegerdenkmal, kaum eine Kirche ohne eine Gedenktafel. Kaum ein Friedhof ohne Gedenkstein für Volk und Vaterland.
Aber eines der Denkmäler fällt aus dem üblichen Gedenken ganz heraus. Es befindet sich in einer französischen Gemeinde und zeigt die lebensgroße Figur eines Bauernjungen, eines Kriegswaisen, der auf eine Tafel mit den Namen der Männer jenes Ortes verweist, die im Krieg umkamen, und auf die darunter stehende Inschrift die Anklage: VERFLUCHT SEI DER KRIEG!!!
Die heute Abend hier stehen,
wissen, dass nicht erst mit der Machtübertragung an die Nazis am 3
0. Januar 1 9 3 3, der Tod zur Staatsdoktrin in Deutschland erhoben
wurde. Die Anfänge hierfür liegen weit früher. Es waren die
langjährigen Zuchthausstrafen von Rosa und Karl in den Jahren 1914
und 1916, die Schüsse, die Albin Köbis und Max Reichpietsch, die
revolutionären Matrosen 1917, Karl, Rosa, Leo Jogiches, Eugen
Levine meuchelten. Die Januar Aufstände 1919, die Märzaufstände
1919 in Berlin, die Räterepubliken in München und in Bremen sind
jene schauerlichen Züge von Tausenden Toten und Gemordeten.
UND DEUTSCHLAND HEUTE ???
Es ging in keinem offiziellen Gedenken, in keiner medialen Aufbereitung um die historische Wahrheit der Hauptverantwortung für das über vier Jahre andauernde Völkergemetzel vor 1 0 0 Jahren. Der deutsche Imperialismus und seine Verwüstungen waren kein Thema. Wir erleben, wie GEDENKEN einen neuen Schub kriegt zur theoretischen und politischen Legitimierung gegenwärtiger imperialistischer, kapitalistischer Politik.
Die herrschenden Politiker
mit ihren Eroberungskriegen, Deregulierung der Finanzmärkte,
massiven Sozialabbau und Verarmung von immer mehr Menschen stehen
ihren Vorgängern von vor 1 0 0 Jahren kaum etwas nach. Nach einem
noch fürchterlicheren 2. Weltkrieg, dessen Keim im ersten
Völkerschlachten lag, forderten imperialistische Abenteuer weitere
viele Millionen Opfer. Hiroshima-Nagasaki, Korea, Vietnam,
Algerien, Indonesien, Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Kongo, Libyen,
Palästina, Syrien, Jemen, Mali.
„Dividenden steigen, wenn
Menschen fallen“ , sagte Rosa Luxemburg; Friedrich Engels sagte
den 1. Weltkrieg schon 1887 voraus. Schließen wir mit einem Zitat
von Karl Liebknecht, dass heute genauso aktuell ist:
„ES LEBE DIE BEFREIUNG DER ARBEITER ALLER LÄNDER VON DER HÖLLE DES KRIEGES, DER AUSBEUTUNG UND DER SKLAVEREI!!
Maja Tegeler: Frauenkämpfe vor 100 Jahren, Care-Revolution heute
Liebe
Anwesende,
wir
sind heute hier unterwegs, um dem Beginn der Bremer Räterepublik vor
genau 100 Jahren am 15.11.1918 zu gedenken.
Voran
gegangen waren 4 Jahre imperialistischer Weltkrieg, also Elend und
Tod für Soldaten und Zivilbevölkerung, hier in Bremen und halb
Europa.
Voran
gegangen waren auch Jahrzehnte sozialistischer Frauenbewegung mit
klaren Forderungen nach rechtlicher und sozialer Gleichstellung.
Viele
Frauen mussten in der Rüstungsproduktion tätig sein und wurden
zudem von den Herrschenden gedrängt, so genannte „Liebesgaben“
zB in Form von Kleidung und Lebensmitteln für die Soldaten an der
Front zu sammeln – oft mit Kindern auf sich allein gestellt und von
Hunger bedroht.
Im so genannten Steckrübenwinter 1916/17 kam es zu
Hungerdemonstrationen, unter anderem organisiert von Anna Pöhland,
die schon vor dem Krieg in der Dienstmädchenbewegung aktiv war und
sich den Bremer Linksradikalen anschloss, bevor sie kurz nach der
Niederschlagung der Bremer Räterepublik mit nicht mal 45 Jahren
starb.
Elise
Kesselbeck war ebenfalls in der Dienstmädchen-bewegung und bei den
Bremer Linksradikalen aktiv, kämpfte für eine Gleichstellung der
Frauen bei den Arbeitseinkommen und der Erwerbslosenfürsorge und die
Erhöhung der Versorgungssätze der „Kriegerfrauen“ – und
gegen den §218.
Auf
der Frauenversammlung am 10.11.1918, bei der es um das
Frauenwahlrecht für die Bürgerschaft ging, war sie als eine von nur
3 Frauen im Arbeiter- und Soldatenrat anwesend, neben Gesine Becker
und Käte Ahrens. Käte Ahrens begründete auf dieser Versammlung die
Notwendigkeit des Frauenwahlrechts wie folgt: „Der revolutionäre
Umwälzungsprozess ist nicht von selbst gekommen, wir Linksradikalen
und die Unabhängigen haben auf ungesetzlichem Wege durch Flugblätter
usw. tüchtig vorgearbeitet. Wir wollen jetzt nicht mehr fordern, wir
wollen dekretieren, die Gesellschaft kann keinen Tag ohne
Frauenarbeit existieren!“
Liebe
Anwesende, dies gilt definitiv auch heute, nicht wenige der aktuellen
Kämpfe ähneln denen von 1918.
Noch
immer kämpfen Frauen für die Abschaffung von §218 und 219a, für
Selbstbestimmung ihrer Körper. Viel zu viele alleinerziehende
Frauen, auch hier in Bremen, müssen von Sozialleistungen, also am
Rande des Existenzminimums leben.
Pflege-
und Sorgearbeit wird noch immer überwiegend von Frauen* geleistet
und wird gesellschaftlich zu wenig anerkannt.
Auch in der stationären Pflege in den Bremer Krankenhäusern arbeiten überwiegend Frauen unter unwürdigen Arbeitsbedingungen. Es gibt schlicht zu wenig Personal, nach Berechnungen von ver.di fehlen mindestens 1600 Pflegekräfte. Wir vom Bremer Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus haben daher kürzlich ein Volksbegehren gestartet. Die Ausstattung in der Pflege darf sich nicht an den Profiten privater oder halböffentlicher Krankenhäuser orientieren,sondern an den Bedarfen der Patient*innen. Unterzeichnet das Volksbegehren, kämpft mit uns. Lasst uns gemeinsam diskutieren, wie die soziale und politische Situation von Frauen* auch hier in Bremen verbessert werden kann. Ohne echte Gleichstellung aller Geschlechter, ohne Überwindung starrer Geschlechterrollen kein gesellschaftlicher Fortschritt. Für ein gutes Leben für Alle, für eine – auch feministische – Revolution!
Sebastian Rave: Räterepublik und die Macht der Banken
Liebe
Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und
Genossen,
Die
Räterepublik vor 100 Jahren wurde finanziell erdrosselt, bevor sie
noch militärisch zerschlagen wurde.
Die
Banken weigerten sich, der revolutionären Regierung Kredite zu
geben, die sie brauchten, um die staatlichen Ausgaben zu decken.
Der
Rat der Volksbeauftragten wurde erpresst, allgemeine Wahlen
durchzuführen, bei denen auch die eigentlich entmachtete Bourgeoisie
mitwählen durfte.
Die
politische Macht der Banken war damals enorm gewachsen. Es hatte eine
enorme Konzentration gegeben. Hatten 6 Berliner Großbanken 1895
noch 16 Niederlassungen in Deutschland, waren es 1911 bereits 104.
Die Einlagen, also das, was die Kunden eingezahlt hatten, waren
innerhalb weniger Jahrzehnten vor dem Krieg explodiert.
Viele
kleine, mittlere und große Unternehmer verzinsen ihr Geld bei der
Bank. Die Bank „arbeitet“ mit dem Geld, also investiert und
spekuliert, grenzüberschreitend, weltweit, es entstehen Bankkartelle
und Monopole.
Mittlerweile
sind es die Schattenbanken, die am schnellsten wachsen. Hedgefonds,
Private-Equity-Fonds usw. haben ein Volumen von 80 Billionen Dollar.
Das Finanzkapital ist heute vier mal so groß wie das Weltsozialprodukt. In Sekundenschnelle rast es um die Erde und wird durch jede gewonnene Spekulation nur noch hungriger.
Konnten
damals die Banken noch die kleine Bremer Räterepublik erpressen,
erpressen sie heute ganze Staaten.
Sie
schreiben ihre Gesetze, sie diktieren Politik, und wenn sie sich
verzocken, muss der Staat Milliarden von Steuergeldern aufbringen,
weil der Zusammenbruch einer Großbank das ganze kapitalistische
Kartenhaus zusammenkrachen lassen würde.
Das
Bankkapital wird zum Schmiermittel der Weltwirtschaft, und alles ist
davon abhängig.
Der
Bankkredit ist die Droge, die der Kapitalismus zum Überleben
braucht.
Den
Boom gibt es nur dank günstiger Kredite, und bei einer Krise gibt es
Erholung auf Pump.
Die Verschuldung von Firmen, Privaten und öffentlicher Hand liegt bei 217.000 Milliarden Dollar. Das ist das dreifache des Weltsozialprodukts! Übrigens war es vor der letzten Krise nur das doppelte.
Marx schreibt im Manifest, wie die Bourgeoisie Krisen löst: „Dadurch,daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“
Die Krise des Kapitalismus geht einher mit einer Krise der bürgerlichen Demokratie.
Protektionismus
und Nationalismus nehmen zu und helfen eben so wenig wie Freihandel
und Globalisierung.
Billiges
Geld hilft genau so wenig wie billiges Öl.
Die
Politik ist genauso ratlos wie der Rat der Volksbeauftragten vor 100
Jahren.
In
Bremen haben sie sich eine Schuldenbremse in die Verfassung
geschrieben, obwohl sie das Geld brauchen für Schulen, Kitas,
Krankenhäuser, den öffentlichen Personennahverkehr.
Die
Räteregierung wurde von den Banken erdrosselt. Der Senat erdrosselt
sich selbst.
Wir
helfen gerne nach!
Eine
Linke Regierung sollte die Schuldenbremse natürlich nicht
anerkennen. In den 80ern war in Liverpool eine Linke Regierung an der
Macht, die einen Illegalen Haushalt aufgestellt hat. Ihr Motto war:
Lieber das Gesetz brechen, als das Rückgrat der Armen.
Aber
wollen wir mehr Schulden? Natürlich nicht!
650
Millionen Euro zahlt Bremen an Zinsen jedes Jahr! Das ist eine
gewaltige Umverteilung von unten nach oben.
Geld,
das ausgegeben wurde, um Krisen auszugleichen, gehört eigentlich der
Gesellschaft, die diese Werte durch ihre Arbeit erst geschaffen
haben.
Also
los, legen wir uns mit den Banken an, und widersprechen ihren
Schuldscheinen!
Aber
unser Ziel ist nicht eine andere Haushaltspolitik.
Unser
Ziel ist, die Macht der Banken und Konzerne zu brechen.
Der
Reichtum der Gesellschaft gehört in die Hände der Gesellschaft.
Darum
müssen alle Banken verstaatlicht und unter demokratische Kontrolle
gestellt werden.
Schluss mit Spekulation und Casino, Schluss mit Erpressung!
Wir werden euer Kartenhaus zerschlagen, und auf seinen Trümmern eine neue Gesellschaft aufbauen!
Claudia Bernhard: Revolution, Frauenwahlrecht, Feminismus
Liebe
Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und
Genossen!
Heute
vor 100 Jahren,
am 15.November 1918, um 11 Uhr vormittags, wurde hier an dieser
Stelle in Bremen die Revolution ausgerufen. Auf dem Platz hier hatten
sich Tausende versammelt, die Garnisonskapelle spielte. Die
Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates traten auf den Balkon des
Rathauses. Alfred
Henke,
Vorsitzender des Aktionsausschusses, verkündete:
„Der
Arbeiter- und Soldatenrat hat die Ausübung der politischen Gewalt im
Bremer Staatsgebiet übernommen. Senat und Bürgerschaft bestehen
nicht mehr. (…) Damit nun bekannt werde, welcher Geist der
obwaltende ist, wird auf diesem Hause die rote
Fahne
gehisst. (…) Die proletarische Internationale lebe hoch!“
Hier,
und das müssen wir uns bewusst machen, an diesem Ort war der
Schauplatz dieses historisch bedeutsamen Ereignisses.
Damals,
vor 100 Jahren, fand in Bremen und in ganz Deutschland eine
Revolution
statt. Und wir sind heute hier, weil wir sagen: Das war richtig. Das
war gut so.
Die
Revolution von 1918 war eine notwendige und eine erfolgreiche
Revolution, und ihre Form war die Übernahme der politischen Gewalt
durch die Räte. Durch die Revolution im November 1918 wurde der
Krieg beendet. Kaiser und Fürsten wurden abgesetzt. Die Monarchie
wurde beendet. Die undemokratisch gewählten Parlamente wurden
aufgelöst. Gewerkschaften, Betriebsräte und soziale Rechte wurden
anerkannt. Und die Frauen erhielten das Wahlrecht.
Das
Frauenwahlrecht
aber begann nicht mit dem 12.November, als der Rat der
Volksbeauftragten in Berlin es erließ. Es begann sofort mit der
Revolution. In allen Betrieben wählten bei der Wahl der Arbeiterräte
die Frauen wie selbstverständlich mit.
In
Bremen geschah das zum ersten Mal am 7.November. Die Frauen haben
sich das Wahlrecht damals genommen.
Es war Teil der Revolution, und es wäre ohne die Revolution nicht
durchgesetzt worden.
Das
Verhältnis von Frauenemanzipation und Revolution war allerdings
schwierig. Die Frauen wählten zwar, aber in den Arbeiterräten waren
sie kaum vertreten. In Bremen waren von den 180 Mitgliedern des
Arbeiterrates 3
Frauen.
In den Ausschüssen waren sie gar nicht vertreten. Das war in den
anderen Städten genauso. Obwohl die Frauen maßgeblich an der
Revolution beteiligt waren, obwohl sie bereits während des Krieges
die Hungerdemonstrationen organisiert hatten, obwohl sie in Bremen
auch organisiert waren, wurden sie von den Organen der Revolution
weitgehend ausgeschlossen.
Es
wäre vielleicht manches anders
gelaufen,
wenn man diesen Fehler nicht gemacht hätte. Denn die Sozialistinnen
und Feministinnen hatten auf vieles einen sehr klaren Blick.
Toni
Sender,
USPD, Generalsekretärin des Frankfurter Arbeiterrates, hielt 1919
ein Referat über „Die
Frauen und das Rätesystem“.
Darin kritisiert sie den weitgehenden Ausschluss der Frauen gerade
aus den Vollzugsausschüssen. Sie fordert eine Quotierung der
Arbeiterräte und die Einbeziehung der Heimarbeiterinnen,
Hausangestellten und proletarischen Hausfrauen.
Toni
Sender äußert sich in ihrem Referat aber auch zur allgemeinen
Entwicklung
der Revolution. In einer Weise, die ich für heute höchst aktuell
finde. Natürlich, sagt sie, ist die Revolution behindert worden von
denen, die nur deshalb an ihre Spitze wollten, um sie zu verhindern.
Sprich: Die Führung der MSPD.
Aber
dann stellt sie fest:
„Es
genügt wahrlich nicht, Genossinnen und Genossen, nur
die Führer
für die Entwicklung, die die deutsche Revolution genommen hat,
verantwortlich machen zu wollen.“
Die
Räte hätten zumeist kaum gewusst, was sie eigentlich tun sollten.
Die ganze Arbeiterbewegung sei auf den revolutionären Moment nicht
vorbereitet
gewesen. Wie der soziale Umsturz „in der Praxis zu verwirklichen
wäre, darüber hatte man sich nicht im Einzelnen den Kopf
zerbrochen!“ Und anstatt sich innerhalb der Linken zu einigen,
hätte man sich lieber mit den Kräften geeinigt, die alles beim
Alten lassen wollten.
Ich
glaube, man kann ohne Übertreibung sagen: Da sind wir heute
nicht so richtig weiter. Wenn nur die Hälfte
der Energie, mit der Linke sich gegenseitig das Leben schwer machen,
darauf verwendet würde, gemeinsam die Gesellschaft zu verändern,
wären die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse weniger trübe,
als sie es heute sind. Wenn nur die Hälfte der Begeisterung, mit der
man sich gegenseitig alte und neue Fehler vorwirft, für die
gemeinsame Klärung eingesetzt würde, was man eigentlich als
Nächstes will, dann wäre die Linke mit Sicherheit ein attraktiverer
Ort.
Alle
Feministinnen
haben, wenn sie ehrlich sind, ein zwiespältiges Verhältnis zur
Revolution. Sie wissen, dass die Forderungen der Frauen häufig als
erste über Bord gehen. Sie wissen um die Risiken und darum, dass
diese Risiken vor allem von Frauen getragen werden.
Revolution
wird in der allgemeinen Vorstellung nach wie vor mit „Gewalt“ und
„Chaos“ verbunden – und dass die Linke kaum etwas dafür getan
hat, diesem Bild etwas entgegenzusetzen. Wenn Feministinnen von einer
„feministischen
Revolution“
sprechen, stellen sie sich etwas anderes vor, als Linke, wenn sie an
Revolution denken.
Die
nächste Revolution wird aber immer anders aussehen als die letzte.
Trotzdem muss man sich darüber Gedanken machen, wie damit umzugehen
ist.
Der
Gedanke der radikalen Veränderung, das revolutionäre Prinzip, sich
an alte Regeln einfach nicht mehr zu halten und neue zu formulieren:
Das hat sich nicht
erledigt.
Weltweit,
und auch hier.
Wir
haben auch heute kein allgemeines Wahlrecht.
Frauen
sind nicht gleichberechtig.
Multinationale
Konzerne haben sich heute weit in die Zukunft reichende
Eigentumsrechte an allem und jedem gesichert, bis hin zum Recht, dass
Regeln nicht zu ihren Ungunsten verändert werden dürfen.
Das
aktuelle System vernichtet unsere Umwelt.
Es
gibt keine tatsächliche und faire Teilhabe aller am Reichtum und an
den Entscheidungen der Gesellschaft.
Das
wird nur gehen, wenn Linke
und Feministinnen
lernen, gemeinsam zu handeln. Die Revolutionen in Ägypten, in der
Elfenbeinküste und vielen anderen Orten 2011 wurden von Frauen
ausgelöst. Die Wut der neuen Rechten über alles, was sich seit 1968
in der Gesellschaft verändert hat, ist auch eine antifeministische
Konterrevolution.
Und es sind vor allem Frauen, die ihr entgegentreten.
Alle
Berichte über den November
1918
sind sich einig, wie viel Hoffnung, wie viel Erleichterung die
Revolution damals zunächst verbreitete. Wie viel Begeisterung es
auslöste, dass man alte Regeln einfach beiseiteschieben konnte. Die
Enttäuschungen kamen später. Aber auf den Enttäuschungen können
wir nicht aufbauen. Wir stehen heute hier, weil wir an den Ort dieser
Hoffnung zurückkehren: Der Hoffnung auf eine radikale soziale und
feministische Veränderung. Diese Hoffnung ist aktuell, und sie ist
genauso berechtigt, wie vor 100 Jahren. Das ist die Botschaft dieser
Kundgebung.
Und
in diesem Sinne: Es lebe die Revolution!
Claudia
Bernhard
Ulrich Schneider: Bremer Räterepublik, Novemberrevolution in Deutschland und ihr Platz in der internationalen Entwicklung
Die
Bremer Räterepublik – auch wenn es ein regionales Ereignis war –
war Teil der revolutionären Krise der europäischen
Hegemonialstaaten und verschiedener durch den Krieg betroffenen
Länder war. Auch wenn ihr vollkommen zurecht euch mit den lokalen
Bezügen beschäftigt, an die bremischen Akteure und die
Niederschlagung der Revolution erinnert, möchte ich heute den Blick
über die regionalen Grenzen richten und schauen, in wie weit diese
politische Bewegung Entsprechungen auch international hatte.
Die
Entwicklung revolutionärer Bewegungen:
Die
Kriegssituation beeinflusste in allen Ländern die politische Lage,
selbst wenn große Teile der Bevölkerung nicht von Kriegshandlungen
selber betroffen waren. Denn dieser Krieg wurde in allen beteiligten
Staaten zulasten der arbeitenden Bevölkerung geführt:
- Arbeiter
wurden in den Kriegsdienst mobilisiert
- Arbeitsbedingungen
wurden unter den „Kriegsnotwendigkeiten“ verschlechtert
–Verlängerung der Arbeitszeiten, Streikverbot, Militarisierung
der Arbeitswelt, Frauen als „Billiglöhner“ (Konkurrenz) etc.
Die
Kriegsbegeisterung – selbst in Teilen der Arbeiterschaft, in
Deutschland gefördert durch die sozialdemokratische
Burgfriedenpolitik und die damit verbundene nationalistische
Propaganda, aber auch in anderen Ländern nationalistisch aufgeladen
– endete bereits nach dem ersten Kriegsjahr, als jegliche
„Blitzkriegs“-Euphorie verflogen war.
Die
Folgen für die Arbeiterbewegung
waren massive Debatten in den Parteien und letztlich die Abspaltung
der Kräfte, die sich gegen Krieg und Unterstützung der nationalen
Kriegspolitik wehrten. Bekannteste Beispiele dafür sind in
Deutschland die Verweigerung der Zustimmung zu den Kriegskrediten
durch Karl Liebknecht und später weiterer Mitglieder der
SPD-Fraktion, die den Kern der späteren USPD bildeten. In Russland
profilierten sich die Bolschewiki durch ihre klare
Antikriegs-Haltung. Insbesondere in Petersburg und anderen
industriellen Zentren wuchs ihr Einfluss unter der arbeitenden
Bevölkerung gegenüber den Menschewiki und den Sozialrevolutionären.
Verbunden
mit der wachsenden Antikriegsstimmung gelang im Frühjahr 1917 in
Russland
mit der Februar-Revolution der Sturz der Zarenherrschaft. Das war ein
wichtiger Schritt, aber die Losung der Massen lautete darüber hinaus
„Frieden – Arbeit – Brot“. Als die Regierung unter Kerenski –
trotz der militärischen Lage – eine Fortführung des Krieges
propagierte, ergriffen die Bolschewiki unter den Losungen „Frieden“
und „Alle Macht den Räten“ die Initiative und ermöglichten den
Erfolg der Oktoberrevolution 1917. Denn es war nicht zuerst die Frage
der politischen Macht, sondern die Friedensfrage, die die Massen
bewegte.
Konsequenterweise
lautete auch der erste Beschluss der Sowjetmacht „Dekret über den
Frieden“. Das Rätesystem (Alle Macht den Räten) als Form der
direkten Demokratie der Arbeiter und Bauern bildete die politische
Grundlage und wurde zur Losung, die von Russland ausgehend Vorbild
für alle revolutionäre Bewegungen in anderen europäischen Ländern
ausstrahlte. Und diese Unterstützung der revolutionären Erhebung in
Russland war nötig, wie Lenin schon 1918 erklärte: „Es kann kein
Zweifel daran bestehen, dass der Endsieg unserer Revolution eine
hoffnungslose Sache wäre, wenn sie allein bliebe, wenn es in den
anderen Ländern keine revolutionäre Bewegung gäbe. (…) Unsere
Rettung aus all diesen Schwierigkeiten ist, wie gesagt, die
Revolution in ganz Europa.“
Die
Friedensfrage und mit ihr die Sicherstellung der Versorgung war auch
Kernpunkt der Arbeiterbewegung in Westeuropa. „Frieden und Brot“
lautete die Losung beim Streik der Rüstungsarbeiter im Frühjahr
1918 in Bremen.
Schon 1916 und 1917 hatte es in der Stadt Hungerdemonstrationen
gegeben. Insbesondere die Kollegen der AG Weser, von Hansa-Lloyd und
der Hansa-Werke, die für die Kriegswirtschaft unabdingbar waren,
waren im letzten Kriegsjahr nicht mehr bereit, die Verschlechterung
der Arbeitsbedingungen und der Versorgungslage zu akzeptieren. Ihnen
war klar, dass sie mit der Verweigerung ihrer Arbeitskraft die
Kriegspolitik behindern konnten und damit ein deutliches Druckmittel
gegenüber den ökonomisch und politisch Mächtigen hatten. Doch die
abwiegelnde Haltung der MSPD und der Gewerkschaften erreichte, dass
aus diesem Streik keine politische Bewegung zur Beendigung des
Krieges wurde. Deren Funktionäre leisteten auch keinen Widerstand,
als die politische Polizei mit der Verfolgung der „Rädelsführer“
und anderer Streikenden diese Bewegung unterdrückten. Zur Beruhigung
der Rüstungsarbeiter im ganzen deutschen Reich waren die Vertreter
der wilhelminischen Herrschaft bereit, kleinere Zugeständnisse und
eine bescheidene Machtbeteiligung von Repräsentanten der
Mehrheitssozialdemokraten, wie Philipp Scheidemann und Gustav Bauer,
zuzugestehen. Für einen revolutionären Umschwung und eine
tatsächliche Beendigung des Krieges wäre auch in Deutschland eine
breitere Massenbewegung – unter Einbeziehung der Arbeiter in
Uniform, der Soldaten und Matrosen – notwendig.
Ähnlich
wie in Deutschland sahen sich zu dieser Zeit fast alle europäischen
Kriegsparteien mit massenhaften Protesten, Streiks und
Demonstrationen konfrontiert. Selbst in Frankreich
demonstrierten Arbeiter – angesichts der Verlängerung des
Stellungskrieges – schon 1917 gegen die Fortsetzung des Krieges.
Der Inlandsgeheimdienst „Sureté générale“ konstatierte eine
Zunahme pazifistischer Tendenzen unter Gewerkschaftern, Sozialisten,
Anarchisten, Lehrern und „Intellektuellen“ und nach Paris
geflüchteten russischen Revolutionären. Zwar schlug diese Stimmung
noch nicht in politische Aktionen um, man empfahl der Regierung
jedoch sofort Unterdrückungsmaßnahmen zu ergreifen und den Druck
„pazifistischer Flugblätter“ zu verbieten.
In
Österreich-Ungarn
wurde die Entwicklung Ende 1918 vor allem durch das Auseinanderfallen
der ehemaligen Doppelmonarchie in Nationalstaaten geprägt. Alle
Versuche von Kaiser Karl I mit Zugeständnissen an die nationale
Autonomie die Entwicklung abzuwenden, waren vergeblich. Die
politische Unzufriedenheit über den Kriegsverlauf, die politische
und militärische Schwäche der Herrschenden und ein zunehmender
Nationalismus in den Regionen verbanden sich zu einem Konglomerat,
das zu einem Zerfall des Staates führte. Am 24. Oktober erklärte
sich Ungarn, am 28. Oktober die Tschechoslowakei, am 29. Oktober das
Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (später Jugoslawien)
für unabhängig.
Für
die deutschsprachigen Gebiete der Monarchie konstituierte sich am 21.
Oktober 1918 in Wien eine provisorische Nationalversammlung, die eine
provisorische Verfassung beschloss und eine provisorische Regierung
unter Karl Renner einsetzte, die am 31. Oktober von der kaiserlichen
Regierung die politische Gewalt übernahm. Die k. und k. Armee löste
sich nach dem am 3. November geschlossenen Waffenstillstand auf. Am
11. November 1918 trat Kaiser Karl I. zurück, am nächsten Tag wurde
im Parlament die Republik Deutsch-Österreich ausgerufen.
Anders
als in Berlin oder hier in Bremen war die revolutionäre Bewegung in
Österreich jedoch so schwach, dass ein Versuch der Roten Garden,
eine Arbeiterregierung durchzusetzen, erfolglos blieb. Erst in der
zweiten Phase der revolutionären Bewegung von Februar bis Juli 1919,
die man auch als „sozialrevolutionäre Periode“ bezeichnet,
gelang es den linken Kräften, durch Streiks und andere Arbeitskämpfe
sozialpolitische Verbesserungen durchzusetzen. Dennoch spricht man
auch im Falle Österreichs von einer Revolution, gelang mit ihr doch
ein grundsätzlicher Systemwechsel aus dem Vakuum, das durch den
Zerfall der Monarchie eingetreten war.
Unter
größerer gesellschaftlicher Beteiligung vollzog sich die
revolutionäre Umwälzung in Ungarn.
Im Oktober 1918 wurde das Land selbstständig, der Krieg beendet und
die Monarchie beseitigt. Das ungarische Volk hatte demokratische
Rechte und Freiheiten und seine nationale Unabhängigkeit erkämpft
und eine bürgerlich-sozialdemokratische Koalitionsregierung unter
dem „roten Graf“ Mihály Károlyi übernahm die politische
Verantwortung.
Unter
dem Eindruck der siegreichen Oktoberrevolution in Russland und der
Novemberrevolution in Deutschland verstärkten sich auch in Ungarn
die revolutionären Kräfte der Volksbewegung, die sich nicht mit
einem einfachen Wechsel der Regierungsform zufrieden geben wollten,
sondern reale Veränderungen – darunter auch Vergesellschaftung von
Konzernen und Banken – forderten. Da Graf Károlyi zu solchen
grundlegenden Veränderungen nicht bereit war, trat die
Koalitionsregierung unter dem Druck einer Volksbewegung am 21. März
1919 zurück.
Und
hier passierte etwas, was in der Bremer
Räterepublik nur in Ansätzen gelang und dessen Fehlen in Berlin zur
Niederlage der Novemberrevolution beigetragen hat. Die Führer der
ungarischen Arbeiterparteien vereinbarten, die sozialdemokratische
und kommunistische Partei zu vereinigen und gemeinsam die Staatsmacht
zu übernehmen. So entstand auf der Grundlage eines revolutionären
Parteiprogramms die Sozialistische Partei Ungarns. Noch am 21. März
1919 wurde die Ungarische Räterepublik proklamiert. Im ganzen Land
errichteten Arbeiter, Soldaten und Landarbeiter Räte.
Gestützt
auf diese Räte nahm der Revolutionäre Regierungsrat mit Bela Kun an
der Spitze umfassende soziale Umgestaltungen in Angriff. Man
arbeitete an der Vergesellschaftung der großen und mittleren
Betriebe, der Gruben und Banken, der großen und mittleren Güter; an
der Bildung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, der
Einführung des Achtstundentages und des Prinzips des gleichen Lohns
für gleiche Arbeit, der Erweiterung der Sozialfürsorge und der
Brechung des bürgerlichen Bildungsprivilegs. Zur Sicherung dieser
revolutionären Errungenschaften wurde mit dem Aufbau einer Roten
Armee begonnen.
Konterrevolutionäre
Angriffe auf die revolutionären Bewegungen
Es
kann niemanden verwundern, dass eine solche revolutionäre
Entwicklung von den alten Mächten und selbst von den Staaten der
Entende und ihren Verbündeten als Bedrohung angesehen wurde.
Und
die Antwort der alten adeligen Mächte, des kaiserlichen Militärs
und der Vertreter der Unternehmen, Banken und Großgrundbesitzer war
in allen Ländern vergleichbar. Dort, wo sie noch über die
bewaffneten Machtmittel verfügten, wurden sie in aller Brutalität
zur Niederschlagung der revolutionären Bewegungen eingesetzt. In
Russland tobte von 1918 bis 1921 ein blutiger Bürgerkrieg, bei dem
die russischen Weißgardisten von England und Frankreich militärisch
gegen die Sowjetmacht unterstützt wurden.
Für
Deutschland dürften die meisten die Berichte über die Januar-Kämpfe
in Berlin kennen, bei denen Freikorps aus den Reihen der
Garde-Kavallerie-Schützen-Division unter Generalstabsoffizier
Waldemar Pabst am 14. Januar 1919 Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg
ermordeten. Bei den März-Kämpfen von 1919 – und ich spreche noch
nicht vom Kapp-Putsch 1920, bei dem Waldemar Pabst ebenfalls die
neugegründete Republik bekämpfte – wurden in Berlin über 1.200
revolutionäre Arbeiter und Soldaten ermordet. Diesmal waren auch
reguläre Truppenteile der kaiserlichen Armee beteiligt. Das Wüten
dieser Einheiten geschah übrigens mit Zustimmung der
Reichsregierung, die mit dem Ebert-Groener-Abkommen der
Konterrevolution faktisch einen Freibrief für alle Verbrechen
ausgestellt hatte.
Ähnliches
musste auch die am 10. Januar 1919 ausgerufene Bremer
Räterepublik
erleben. Bekanntermaßen standen im Zentrum der Forderungen die
Übernahme der Staatsmacht und der Aufbau bewaffneter
Arbeitermilizen. Sozialpolitische Forderungen wurden zwar
thematisiert, es gab jedoch keine Maßnahmen zur Einschränkung der
Banken oder der Freiheit der Unternehmen. Dennoch musste man sich von
Anfang an militärischer Angriffe erwehren. Nachdem es in den ersten
Wochen noch gelungen war, die konterrevolutionären Militäreinheiten
zu entwaffnen, mussten sich die Arbeitermilizen der Übermacht von
3.000 Soldaten der Division Gerstenberg und des Freikorps Caspari
geschlagen geben. Sie wurde am 4. Februar 1919 in Bremen und am 8./9.
Februar 1919 in Bremerhaven blutig niedergeschlagen. Alljährlich
gedenkt ihr auf dem Waller Friedhof der Ermordeten.
Auch
der Kampf gegen die revolutionäre Entwicklung in Bayern
begann Ende Februar 1919 mit dem Mord an dem Bayerischen
Ministerpräsident Kurt Eisner (USPD). Nach massiven
Auseinandersetzung innerhalb der Arbeiterparteien übernahmen die
linksradikalen Kräfte die Regierung und proklamierten Anfang April
die Bayerische Räterepublik. Sie blickten mit Hoffnung auf die
ungarische Räterepublik und sahen darin ein gewisses Vorbild. Doch
es blieb ihnen keine Zeit, ein politisches Programm umzusetzen, da
sie sich von Anfang an gegen militärische Angriffe von Freikorps und
Einheiten der regulären Armee wehren musste. Am 2. Mai 1919 unterlag
die Räterepublik endgültig der militärischen Übermacht. Ihre
führenden Protagonisten sowie mehr als 2000 – auch vermeintliche –
Anhänger der Räterepublik wurden in den nachfolgenden Tagen und
Wochen ermordet, von Standgerichten zum Tode oder zu langen
Haftstrafen verurteilt.
Den
militärischen Angriffen auf die Ungarische Räterepublik waren auch
die Revolutionäre in Budapest nicht gewachsen. Sie mussten sich den
Heeren der ausländischen Interventen und der Konterrevolution
geschlagen geben. Am 1. August 1919 trat die Räteregierung zurück.
Selbst die dann folgende Übergangsregierung wurde von der
Konterrevolution am 6. August 1919 gestürzt. Und nun entfaltete man
unter dem Schutz der rumänischen Okkupanten und der Entente-Mächte
einen zügellosen Terror gegen die Kämpfer der Räterepublik. Die
Bilanz des „weißen Massenterrors“ waren etwa 5.000 Ermordete,
70.000 Eingekerkerte und 100.000 aus dem Land vertriebene politische
Aktivisten.
Ungeachtet
solcher blutigen Rückschläge gab es in Deutschland und in anderen
europäischen Ländern bis Ende 1920 weiterhin revolutionäre
Bewegungen, die sozialpolitische Veränderungen einforderten und in
verschiedenen Formen die Machtfrage stellten. In Deutschland
sollte man an die Arbeiterregierungen von Sozialdemokraten und
Kommunisten in Thüringen und Sachsen erinnern, die von der ebenfalls
sozialdemokratisch geprägten Reichsregierung mit militärischen
Mitteln beseitigt wurden, sowie die Kämpfe der Roten Ruhrarmee.
In
Italien
beispielsweise gingen die Jahre 1919 und 1920 als „Biennio
rosso“, die „zwei
Roten Jahren“ in die Geschichte ein. Es waren Jahre der
Arbeiterkämpfe, bei denen es zwar nicht um die politische Macht
ging, bei denen aber durch Massenstreiks und zahlreiche
Betriebsbesetzungen das ökonomische Herrschaftssystem in Frage
gestellt wurde. Die Arbeiter besetzten nicht nur die Betriebe, sie
übernahmen selbst die Verwaltung und bildeten Fabrikkomitees. In
dieser Bewegung, die zeitweilig Betriebe mit 500.000 Beschäftigten
in Norditalien umfasste und in der die Produzenten selber die
Verantwortung übernahmen, sah Antonio Gramsci die Keimzelle einer
zukünftigen kommunistischen Gesellschaft. Er war der Überzeugung,
dass „entweder die Eroberung der politischen Macht durch das
revolutionäre Proletariat folge, oder eine furchtbare Reaktion durch
die besitzende Klasse.“
Und
tatsächlich kam es so. Das Scheitern des Generalstreiks im März
1921, das auf das Eingreifen der „Fasci di combattimento“
Mussolinis zurückzuführen ist, leitete die Wende zum „Biennio
nero“, den beiden
„Schwarzen Jahren“ ein, während der die „Schwarzhemden“ der
Faschisten dominierten und schließlich unter Mussolini die Macht
übernahmen.
Diejenigen,
die die Welt in diesen Krieg gestürzt hatten, hatten eine Zeitlang
um ihre Macht gebangt. So notierte der britische Premierminister
Lloyd George im März 1919 besorgt: „Ganz Europa ist vom Geist der
Revolution erfüllt. Die Arbeiter sind nicht nur von einem tiefen
Gefühl der Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen, wie sie vor
dem Krieg bestanden, ergriffen, sondern von Groll und Empörung. Die
ganze bestehende soziale, politische und wirtschaftliche Ordnung wird
von der Masse der Bevölkerung von einem Ende Europas zum anderen in
Frage gestellt.“
Solche
revolutionären Umwälzungen wurden durch ein Bündnis der
reaktionärsten Kreise des Militärs, der Unternehmen und Banken, der
Junker und der alten Politiker-Kaste verhindert. Als Instrument der
Machtsicherung entstanden faschistische Bewegungen, die – wie in
Italien – sich als Straßenkampftruppen einbrachten, oder – wie
in Deutschland –Freikorps, die mit militärischen Mitteln in
Ostelbien, in Berlin und in anderen Teilen der neuen Republik die
Verantwortung für die Verbrechen übernahmen. Erst nach dem
Scheitern des Kapp-Putsches im März 1920 entstand auch in
Deutschland jene faschistische Bewegung, die am 9. November 1923 beim
Hitler-Ludendorff-Putsch zum ersten Mal selber Machtansprüche erhob.
Tatsächlich
erwies sich die faschistische Bewegung bereits in dieser Phase der
revolutionären Nachkriegskrise als ein möglicher Ausweg der
Herrschenden. In aller Brutalität wurde das nicht nur durch die
Machteinsetzung Mussolinis in Italien, sondern auch durch die
reaktionär-monarchistisch Niederschlagung der linken Bauernbewegung
in Bulgarien im September 1923 sichtbar.
Die
Niederschlagung der Novemberrevolution in Deutschland und der
revolutionären Bestrebungen in anderen europäischen Ländern war
nicht nur die Sicherung bürgerlich demokratischer
Herrschaftsverhältnisse, sondern auch der Vorbote einer drohenden
faschistischen Herrschaft, die die reaktionärsten Teile der
Herrschenden zwölf Jahre später als ihren Ausweg aus der Krise auf
den Weg brachten.
Ich
möchte zum Abschluss in drei Gedanken Lehren aus der Geschichte der
Novemberrevolution formulieren:
- Es bedarf für eine gesellschaftsverändernde Politik die unmittelbare Verbindung von politischer Macht und sozialpolitischen Verbesserungen, wie es in der ungarischen Räterepublik sichtbar wurde. Der Kampf um die Staatsmacht ist nur dann wichtig, wenn damit konkrete Verbesserungen für die arbeitenden Menschen verbunden waren. Das Streben nach Regierungsbeteiligung zur Exekution von sozialem Abbau ist ebenso abzulehnen wie die Verweigerung von Koalitionen mit der Behauptung, der Staatsapparat sei doch nur ein bürgerliches Herrschaftsinstrument. Und es geht nicht nur um die Macht im Staate, sondern es muss – wie es die italienische Arbeiterbewegung exemplarisch zeigte – auch die Macht in den Betrieben erobert werden.
- Sicherlich war und ist die ideologische Auseinandersetzung innerhalb der Arbeiterbewegung, ihrer Parteien und Organisationen über den politischen Weg zu einer gerechteren Gesellschaft notwendig. Aber die Durchsetzung von Zielen, die auch die Grundfesten kapitalistischer Ordnung in Frage stellen, ist nur mit der geeinten Arbeiterbewegung möglich. Wer also für tatsächliche Veränderungen eintritt, muss sich auch für die Einheit der Arbeiterbewegung einsetzen.
- Die reaktionären Kräfte, die alten Mächte, die ökonomisch Mächtigen und die Vertreter des Militarismus sind für ihren Machterhalt bereit, auch mit brutalsten Gewaltmitteln vorzugehen. Ihnen effektiv entgegenzutreten geht nur auf der Basis breitester gesellschaftlicher Bündnisse. Das Scheitern des Kapp-Putsches 1920 in Berlin war nicht das Resultat von Parlamentsentscheidungen, sondern das Ergebnis des Generalstreiks der einheitlich handelnden Arbeiterbewegung gemeinsam mit liberalen Kräften der bürgerlichen Gesellschaft. Um wieviel mehr sind solche breiten Bündnisse nötig, wenn es um die Verteidigung der grundlegenden demokratischen Rechte und Freiheiten geht, wenn die politisch Mächtigen glauben, einen faschistischen Ausweg aus der Krise suchen zu müssen.
In
diesem Sinne ist eine Auseinandersetzung mit der Geschichte auch der
Bremer Räterepublik und ihrer Niederschlagung eine Lehre für heute,
wenn es darum geht, politische Optionen der Herrschenden für einen
rechten Ausweg aus der Krise zu verhindern.
© Dr. Ulrich
Schneider, Generalsekretär der Internationalen Föderation der
Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten